Das schottische Geheimnis by Krüger Maryla

Das schottische Geheimnis by Krüger Maryla

Autor:Krüger, Maryla [Krüger, Maryla]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Weltbild
veröffentlicht: 2014-11-16T05:00:00+00:00


20

Sich wie Erwachsene benehmen. Nachdem wir uns etwa eine Stunde lang in der Küche gegenübergesessen und angeschwiegen hatten, merkten wir, dass wir so nicht weiterkamen.

»Lass uns gehen«, sagte er.

»Wohin?«

»Spazieren.«

»Spazieren?« Ich konnte es nicht verhindern, einen Blick auf sein Gipsbein zu werfen.

»Ich bin nicht beinamputiert«, meinte er.

»In Ordnung. Soll ich vielleicht –« Ich hielt inne.

»Was?«

»Ach, ist schon gut. Ja, lass uns gehen.«

Als wir vor dem Haus standen, blickte er an sich hinab und dann auf den Weg zum Tor, schließlich sah er mich mit einem Lächeln an. »Ähm … würdest du mir einen Gefallen tun?«

»Ja, natürlich!«

»Siehst du den Wacholder dort hinten?«

»Ja?«

»Ein paar Schritte weiter muss die Krücke liegen, würdest du?«

»Natürlich«, sagte ich und bemühte mich, nicht zu lachen.

* * *

Es war kühl geworden. Wir wanderten in südöstlicher Richtung die Hügel hinauf. In der Ferne erkannte ich wieder die riesigen Bergketten, die ich schon auf der Fahrt hierher von fast jedem Winkel aus bewundern konnte. Steile Felswände, zerklüftet, mit scharfkantigen Bergspitzen.

»Das sind die Cuillin Hills«, sagte Ian und blieb neben mir stehen. »Es heißt, dass sie niemanden unversehrt von hier wieder fortlassen.«

»Ich habe bestimmt nicht vor, da hinaufzuklettern.«

»So ist das auch nicht gemeint, nein. Es bedeutet, wenn ein Mensch von hier fortgeht, hinterlassen die Felskanten der Cuillin Hills Wunden im Herzen derjenigen, die ihnen für immer den Rücken zukehren.«

»Ihr habt für fast alles eure Legenden und Mythen, was?«

Ian lächelte. »Aye«, sagte er. »Irgendeine Erklärung muss es immer geben, warum ein Baum sich nach Norden neigt oder der Fels die Form eines Brontosaurus hat.«

»Und warum hat er diese Form?«

Ich schmunzelte.

»Es ist ein schlafender Drache … Aharrr«, machte Ian und tat so, als wollte er sich auf mich stürzen. Doch dann schaute er einen Moment lang wortlos auf die Berggipfel, und mir schien es fast, als glaube er an all diese Märchen.

»Du liebst diesen Ort«, stellte ich fest und lächelte darüber.

»Aye.« Er nickte und schien plötzlich das Thema wechseln zu wollen. »Ich war acht, als meine Mum und mein Dad starben. Weißt du, sie sind …«

»Ja.« Ich unterbrach ihn. »George hat es mir erzählt.«

»Hm, aye«, sagte er und drehte sich wieder zu den Gipfeln. »Als ich die Cuillins damals zum ersten Mal sah, dachte ich wirklich, es wäre ein Drache, der dort schlief. George hatte mir die finstersten Geschichten über die Drachen von Skye erzählt, und ich glaubte ihm. Ich glaubte damals auch, der Tod meiner Eltern – das wäre meine Schuld gewesen. Sie haben mich gerettet und sind dabei umgekommen.«

»Das tut mir sehr leid, Ian.«

»Ich bin ausgebüxt, hab mir eine Busfahrkarte nach Elgol gekauft und bin dann zu Fuß los, den Drachen zu wecken, damit er mich auffrisst.«

»Oh, Ian!«, kicherte ich los.

»Es war mir todernst.«

»Entschuldige!« Ich räusperte mich schnell. »Du hast natürlich recht. Und? Hast du ihn wecken können?«

»Ich bin nicht weit gekommen«, sagte er und verzog das Gesicht. »Ein alter Bauer hat mich aufgegriffen. Aber die Standpauke, die ich einstecken musste, als ich wieder zu Hause war, hätte alle Drachen Schottlands wecken können, wenn es denn welche gegeben hätte.«

* * *

Der Weg zurück zum Haus verlief wesentlich leichter als der Weg die Hügel hinauf.



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